Mulholland Drive (II)
Mulholland Drive (I)
Frankreich / USA 2001, Regie & Buch: David Lynch
L. A. irrational - Mullholland Drive von David Lynch
Beginnen wir einmal anders, beginnen wir mit einer LiebeserklĂ€rung: ich liebe David Lynch. Ich bewundere Lynch fĂŒr Wild at Heart, ich verehre ihn fĂŒr Blue Velvet, aber meine bedingungslose Liebe hat er sich durch Twin Peaks erworben. Twin Peaks ist nach wie vor eine einzigartige Erscheinung in der Geschichte des Fernsehens.
Die Serie hat den Beweis angetreten, dass auch in der am wenigsten angesehen filmischen Form, der Soap Opera, mehr als industrielle Massenverblödung möglich ist, dass sich auch in genuinen Fernsehformaten grosse Kunst schaffen lĂ€sst. Twin Peaks hat - und das ist nur wenig ĂŒbertrieben - mein Leben verĂ€ndert. Ohne Twin Peaks wĂŒrde ich diese Zeilen wahrscheinlich nicht schreiben.
Zu einer echten Liebe gehört es nun einmal, dass man grosszĂŒgig ĂŒber die Fehler des Geliebten hinwegsieht. Und so wollen wir Lynch sein gescheitertes Science Fiction-Epos Dune verzeihen, und auch Twin Peaks: Fire Walk With Me, den Kinofilm zur Serie, lassen wir durchgehen, obwohl diesem Machwerk alles fehlt, was die Serie gross und liebenswert gemacht hat. Ăber Lost Highway wĂŒrden wir einfach höflich schweigend hinweggehen, wenn sich mancherorts nicht hartnĂ€ckig das GerĂŒcht halten wĂŒrde, dass dieser Film in irgendeiner Weise bemerkenswert sei.
TatsĂ€chlich markiert Lost Highway aber nur die Kapitulation des Filmemachers Lynch vor seinem eigenen Image. In diesem Film wird RĂ€tselhaftigkeit zum Stilprinzip erhoben und jeglicher Ansatz zu einer kohĂ€renten Geschichte in unterbelichteten Bildern und einer ewig raunenden Tonspur ersĂ€uft. So etwas nennt man dann "auf Zelluloid gebannte AlbtrĂ€ume", "Reise in die AbgrĂŒnde der menschlichen Seele" und "filmische Möbiusschlaufe", Phrasen, die so nichtssagend und leer sind wie der Film selbst.
Mullholland Drive, Lynchs jĂŒngster Film, war ursprĂŒnglich als Pilotfilm zu einer weiteren Fernsehserie geplant, doch Lynchs Auftraggeber, der Fernsehsender abc, fĂŒr den er bereits Twin Peaks gemacht hatte, war ob des Ergebnisses alles andere als angetan und legte den Film kurzerhand auf Eis. Mit Geld aus Europa drehte Lynch dann einige Zeit spĂ€ter noch zusĂ€tzliche Szenen und schnitt ihn zu dem um, was nun in unseren Kinos zu sehen ist.
Hauptfigur des Films ist eine rĂ€tselhafte Schöne mit dem Namen Camilla (oder war es doch Rita?), die einem Mordanschlag nur knapp durch einen Autounfall entgeht und dabei ihr GedĂ€chtnis verliert. ZufĂ€llig (oder doch nicht?) stolpert sie in das Appartement der angehenden Schauspielerin Betty (oder doch Diane?), die ihr bei der Suche nach ihrer wahren IdentitĂ€t helfen wird. Daneben entwickeln sich noch zahlreiche Nebenplots: ein Regisseur gerĂ€t in mafiöse Verstrickungen, hinter einem Imbissstand haust das Böse, und ein kaltblĂŒtiger Killer legt ziemlich wahllos Leute um.
In der ersten HĂ€lfte prĂ€sentiert der Film eine Vielzahl von HandlungsstrĂ€ngen und Figuren, was sicher auch mit dem ihm ursprĂŒnglich zugedachten Verwendungszweck zusammenhĂ€ngt: eine Fernsehserie braucht ein grosses Arsenal an Protagonisten und Plots, und wenn einige Dinge zu Beginn im Unklaren bleiben, haben die Zuschauer einen Grund, in einer Woche wieder einzuschalten.
In Mullholland Drive zeigt sich ein weiteres mal, dass Lynch immer dann am besten ist, wenn er seinen absonderlichen Ideen nicht freien Lauf lassen darf, sondern sie in das Korsett eines existierenden Genres zwĂ€ngen muss. Sei es der Thriller in Blue Velvet oder die Soap in Twin Peaks, erst wenn sich Lynchs Phantasie an einer bestehenden Struktur reiben muss, wird es wirklich interessant. So gelingen dem Film auch einige wunderbare Miniaturen: der Killer, der seinen Auftrag sauber und schnell erledigt und dann immer mehr Zeugen, die zufĂ€llig ins Geschehen platzen, beseitigen muss, bis aus dem professionell durchgefĂŒhrten Mord ein wahres Inferno geworden ist.
Oder einige Szenen mit dem In-Regisseur Adam, dem buchstĂ€blich der Boden unter den FĂŒssen weggezogen wird. Je lĂ€nger der Film aber dauert, desto weniger interessiert er sich fĂŒr seine Figuren und deren Geschichten. Wozu denn noch die MĂŒhe auf sich nehmen, etwas ZusammenhĂ€ngendes zu erzĂ€hlen, wenn man HandlungsstrĂ€nge einfach abwĂŒrgen und Protagonisten kurzerhand austauschen kann?
In Mullholland Drive gibt es mehrere IdentitĂ€tentransfers, ist eine Figur plötzlich jemand ganz anderes, ohne dass das irgendwie erklĂ€rt werden mĂŒsste. Die ErzĂ€hlzeit macht ebenfalls einige SprĂŒnge, verbiegt und verschlauft sich, Anfang und Ende werden identisch. Solche Spielereien mit narrativen Strukturen könnten auch durchaus reizvoll sein, wenn sie mit einer gewissen ironischen Leichtigkeit dargeboten wĂŒrden.
Es gehört aber zu den Eigenheiten Lynchs, dass sich seine Filme um so bedeutungsvoller gebÀrden, je schlechter sie sind. Je schwÀcher die Szene, desto drÀuender die Tonspur, desto mehr Fahrten durch dunkle GÀnge und desto wilder flackernde Neonröhren. Gerade so, als wolle der Film dem Zuschauer zurufen: "Achtung! Hier Kunst. Jetzt wird's tiefsinnig".
Besonders enttĂ€uschend an dem Film ist aber, dass Lynch scheinbar nichts Neues mehr einfallen will. In Mullholland Drive kopiert sich der Regisseur vor allem selbst und lĂ€sst seine einst originellen EinfĂ€lle zu Ă€rgerlichen Klischees verkommen. Zu Beginn des letzten Viertels besuchen die beiden Frauen mit den wechselnden IdentitĂ€ten den geheimnisvollen Club Silencio, auf dessen BĂŒhne einige seltsame Darbietungen aufgefĂŒhrt werden.
Eine solche Szene findet sich fast in jedem von Lynchs Filmen. Da wĂ€re etwa der tanzende Zwerg in Twin Peaks, die unheimliche Gesangseinlage von Dean Stockwell in Blue Velvet und natĂŒrlich Isabella Rossellinis Auftritt im gleichen Film. Warum denn unbedingt wiederholen, was man schon perfekt hingekriegt hat? Vielleicht rechnet Lynch ja mit einem Publikum, das gar nichts anderes will, als immer die gleichen VersatzstĂŒcke vorgesetzt zu kriegen. Im Zeitalter des Recyclings ist es auch ja nicht mehr als politisch korrekt, wenn man wertvolle Ressourcen schont und die paar guten Ideen, die man mal hatte, immer wieder ausschlachtet.
Aber seien wir nicht ungerecht, denn auch in Mullholland Drive gibt es Neuerungen: erstmals in Lynchs Werk kommt es zu einer lesbischen Liebesbeziehung. - Hurra! Wussten wir's doch! Was dem Lynch aber auch nicht alles einfÀllt!
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hinzugefügt: March 29th 2002 Autor: Simon Spiegel Punkte: zugehöriger Link: IMDb Hits: 8877 Sprache: deu
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