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Interview mit dem Undergroundfilmer Craig Baldwin
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Interview mit dem Undergroundfilmer Craig Baldwin
von Volker Hummel
Wie sind Sie zur Arbeit mit Film und mit Found Footage gekommen? Ich habe gelesen, dass alles im Vorführraum eines Pornokinos begann?
Craig Baldwin: Ach ja, eine gute Anekdote. Aber sie stimmt. Das Wesentliche daran ist, dass ich keine formale Ausbildung hatte, sondern ganz direkt mit dem Medium selbst in Berührung kam. Überall in der Projektionskabine lagen diese Schnipsel und alten Filme herum, alles in schlechtem Zustand. Ich hatte es nicht mit kompletten 35mm-Filmrollen zu tun, sondern mit abgenutztem, kaputtem Zelluloid, kein fertige Sache, sondern eher ein Müllhaufen. Das lud dazu ein, seine Finger hineinzustecken und herumzuspielen. Diese Spielereien waren nicht durch irgendwelche Lehrer oder Theorien inspiriert, sondern entsprangen meiner ureigenen Sensibilität. Es hat etwas damit zu tun, was ich "Masochism of the margins" (etwa: Masochismus des Lebens am Rande) nenne. Ich habe schon immer in Kellern und leer stehenden Lagerhallen gelebt, nicht unbedingt aus Not, sondern als selbst gewählter Lebensweg. Und dazu gehört die Aneignung und Wiederverwendung weggeworfener Dinge, z. B. alte Kleidung und alte Fahrräder. Ich kaufe mir keine neuen Dinge, da ich an der Konsumptionskultur nicht partizipieren will. Deshalb kaufe ich auch keine Kamera und inszeniere Filme, das wäre mir zu wenig authentisch, zu wenig spielerisch.
Haben Sie den Film Fight Club gesehen, in dem Brad Pitt einen Prankster spielt, der Pornoschnipsel in Disney-Filme schneidet?
Leider nein, aber ich werde das häufig gefragt und werde ihn mir bald mal anschauen. Normalerweise zahle ich nicht für Filme, da ich sowieso so viele zu Hause sehe, von meinen Studenten und anderen Experimentalfilmern. Mainstreamkino interessiert mich nur als etwas, mit dem ich spielen, das ich entblößen kann. Vielleicht ist "Fight Club" ja ein Symptom dafür, dass eine medienkritische Underground-Sensibilität im Mainstream hoffähig wird - oder dass der Mainstream sich mal wieder ein paar unserer Ideen angeeignet hat, wie es regelmäßig geschieht, um eine noch größere Öffentlichkeit zu erreichen und mehr Geld zu verdienen. Vielleicht gibt es in den USA derzeit ein Repräsentationsvakuum, ein Mangel an neuen Ideen. Andererseits war das eigentlich immer schon so. Radikale Ideen tauchen immer mal wieder als kleine Brüche, als Pickel an der Oberfläche der Popkultur auf. Ob das nun zynisch ist oder ein echter Wille dahinter steht, den Status quo zu zerstören, lässt sich nur schwer entscheiden.
Wie kommen Sie an die von Ihnen benutzten Schnipsel? Handelt es sich tatsächlich immer um zufällig gefundenes Material, oder gehen Sie auch gezielt auf die Suche?
Für mich gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen dem, was ich als "archival film" und "found film" bezeichne. Beim klassischen Dokumentarfilm gibt es normalerweise ein Budget, eine Crew und ein Drehbuch. Dieses Skript wird dann bebildert, es wird also nach Einstellungen und Szenen im Archiv gesucht, die die argumentative Linie des Films unterstützen. Ich schätze diese Tradition des Dokumentarfilms, aber ich bin kein Teil von ihr, und ich habe auch kein Geld, um an das nötige Material zu kommen. Mein Vorgehen hat mehr mit Dada zu tun, mit gefundenem Film. Man nimmt, was man hat, und versucht daraus eine narrative Linie, eine Bedeutung zu konstruieren. Es geht mehr darum, die ursprüngliche Bedeutung des Materials durch Rekontextualisierung in Frage zu stellen. Ich gehe nicht in Filmarchive, denn bei mir liegen so viele Filme zu Hause rum, die ich noch nicht mal gesehen habe, die von Schulen weggeworfen worden sind oder private Home Videos. Wenn ich etwas über Magnetismus machen will und feststelle, dass ich kein Material dazu habe, dann suche ich mir etwas anderes aus. Wenn ich nichts Passendes finde, filme ich manchmal Szenen direkt vom Fernseher ab. Es gibt für mich nicht den idealen Film, die perfekte Einstellung, die Bedeutung entsteht vielmehr aus der Montage. Es gibt immer verschiedene Interpretationsmöglichkeiten für meine Filme, je nachdem, welche kulturellen Anspielungen beim Zuschauer wirken. Ich sehe bestimmt einen anderen Film als Sie. Es geht mir um einen Überfluss an Bedeutungen, nicht um einen moralischen Kern, eine erhebende Einsicht.
Bei aller Offenheit kreisen Ihre Filme doch um bestimmte, oft sehr politische Themen. "Tribulation 99" (1991) beschäftigte sich mit der imperialistischen Politik der USA in Lateinamerika, "Sonic Outlaws" (1995) mit der Praxis des Culture Jamming und damit verbundener Copyright-Probleme.
Ich stelle eigentlich erst im Rückblick fest, dass sich bestimmte Themen durch mein Werk ziehen. Es gibt soziale und politische Impulse, aber im Grunde sind die Filme sehr persönlich, sie entspringen einer privaten Wut. Am Anfang ging es um geopolitische Themen. In "Wildgunman" (1978) ging es um kulturellen Imperialismus, um kolonialistische Ikonographien. Es war ein Film über das Image des Marlboro Man, das ich mit geopolitischen Machtstrukturen in Verbindung brachte. Von solchen außenpolitischen Erkundungen habe ich mich immer weiter zurückgezogen. In meinem neuen Film "Spectres of the Spectrum" (1999) geht es nunmehr um die Kolonialisierung der Imagination. Es schien mir irgendwann zu einfach, mich an Israel und Südafrika abzuarbeiten. Da war da auch immer ein gewisser Voyeurismus mit im Spiel, ein moralischer Tourismus. Jetzt beschäftige ich mich mit der Kultur in den USA. Das liegt meiner eigenen Lebenssituation, meiner eigenen Wut näher. Jedem Film liegt ein soziales oder politisches Ereignis zugrunde, das meine Wut auf den Punkt bringt. Als ich hörte, dass die Band Negativland von der Plattenfirma von U2 verklagt worden waren, weil sie ihr Logo und einen Part aus dem Stück "I Still Haven't Found What I'm Looking For" auf einer Platte verwendet hatten, war mir klar, dass es hier um mehr als ein Gerichtsurteil ging. Die ganzen, jetzt durch Napster verschärften, Auseinandersetzungen um geistiges Eigentum wurden aufgrund des Negativland-Falles für mich filmisch umsetzbar und zum Grundthema von "Sonic Outlaws". Ich hatte plötzlich eine Präsenz, einen authentischen Kern, um den herum ich arbeiten konnte.
Woher stammte die Idee für "Spectres of the Spectrum"?
Es gab zwei Impulse. Der eine war HAARP, ein Akronym für das High-frequency Active Auroral Research Project. Das ist ein Apparat wie aus einem James-Bond-Film, zwölf davon hat die amerikanische Regierung auf dem Planeten installiert. Es geht bei diesem Projekt letzten Endes darum, Energie von einem Ort an den anderen zu übertragen, ohne Kabel zu benutzen, wie bei einem Radio. Es klingt wie Sciencefiction, aber es ist tatsächlich möglich. Das war für mich der reale Kern von "Spectres", gerade seine fantastischen Aspekte machten ihn für mich so filmtauglich. HAARP spielt keine zentrale Rolle im Film, aber es war für mich eine gute Metapher für die paranoide Sicht vieler Amerikaner: Die da oben kontrollieren das Wetter, sie unterziehen uns mit elektrischen Impulsen einer Gerhirnwäsche. Ich glaube nicht daran, jedenfalls nicht in Form einer Doomsday-Maschine, das findet auf viel subtilere und vielfältigere Weisen statt. Dafür sorgen die Massenmedien, denen wir Tag für Tag ausgesetzt sind. Mir ging es darum, im metaphorischen Sinne vor Augen zu führen, dass wir ideologisch konstruierte Subjekte sind. Das war der eine Impuls, der andere war die TV-Serie "Science in Action" aus den 50er Jahren. Das abgenutzte Zelluloid der Filmrollen war das ideale Material für mich. Mir geht immer auch um die Textur des Materials, seine sensuelle Beschaffenheit, wie bei einem Maler oder Bildhauer. Ich bekam die Filmrollen vom Exploratorium, einem naturwissenschaftlichen Museum in San Francisco. Sie wurden ausgemustert, weil sie nicht länger auf der Höhe der wissenschaftlichen Erkenntnis waren, aber für mich waren sie perfekt. An ihnen lassen sich wunderbar die mit dem militärisch-industriellen Komplex verbundenen Wissenschaftsideologien der 50er Jahre ablesen. Die Beteiligten haben außerdem diese wunderbaren silbernen Heiligenscheine, die sehr gut zu ihrem naiven und primitiven Fortschrittsglauben passen. Aus diesem Material schuf ich meinen Film im Sinne eines Cinema concrete, das sich nicht essayistisch über seinen Gegenstand erhebt, sondern von ihm selbst verkörpert wird. Ich hatte also zwei Pole, die ich austarieren musste, zum einen die Idee, die aus sehr viel Recherchen und Nachforschungen hervorgegangen ist, zum anderen das reine Material, das für sich selbst spricht.
Links zum Thema:
Craig Baldwins Headquarter of Cultural Revolution ist das Other Cinema in San Fransisco, für das er regelmäßig das Programm zusammenstellt. Auf der Website finden sich auch einige Informationen über andere Culture-Jammer.
Das Journal Senses of Cinema beschäftigte sich im April/Mai 2001 in drei Beiträgen mit dem Werk Baldwins: An Evening om Baldwin's Mountain von Dirk de Bruyn, ein Interview von Jack Sargeant und Media Meltdown von David Cox.
- Craig Baldwin's Filme @ Flicker (filmography, photos)
- Craig Baldwin's Filme @ Other Cinema (filmography, photos, trailer)
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