Blue Moon
Österreich 2002 Regie: Andrea Maria Dusl
We all come from something like that
„Wie geh ma vor?“ „Vorgehn is scho folsch“, antwortete Josef Hader in Komm süßer Tod (2000) als Rettungsfahrer seinem Kollegen. Hader spielt gerne und gut den Unsympathischen, der für andere Null Interesse zeigt, mal übel gelaunt, mal stur, meist beides. So spielte er auch in Indien (1993). In Andrea Maria Dusls Blue Moon ist Hader auch nicht gerade gut drauf. Als Geldbote Johnny Pichler, der einem dubiosen Mafiosi zu wenig Geld, weil zu spät überbringt, wird er in dessen Super-Schlitten verfrachtet. Der Edel-Prostituierten Shirley (Viktoria Malektorovych), die zwar einen amerikanischen Namen trägt und sich auch so kleidet, aber aus der Ukraine stammt, verdankt Pichler dann eine Reise. Sie setzt den Mafiosi kurz entschlossen mit „Kampfgas“ aus dem Spraydöschen außer Gefecht und flüchtet mit Pichler gen Osten.
Pichler scheint ein gemachter Mann: teures Auto, Geld, schöne Frau – was will er mehr. Allerdings schaut Hader in solchen Momenten alles andere als glücklich drein. Er schaut sich das alles eher verhalten an, so als ob es normal wäre und gleichzeitig zum Staunen. Johnny muss flüchten, dorthin, wo ihn seine „Feinde“ am wenigsten erwarten, in die Slowakei. „So, you come from America?“ fragt er die schöne Blonde. „Yes, something like that“, antwortet die und Johnny: „We all come from something like that.“ Das sind die Momente in denen „Blue Moon“ am besten ist. Sie kündigen im übrigen Änderungen an. Shirley ist plötzlich verschwunden.
Johnny trifft kurz darauf den, der in diesem Film gerade noch gefehlt hat: Detlev Buck als Ignaz Springer, einen Abenteurer auf Sparflamme, einen Flüchtling, vor allem vor sich selbst, ein gescheitertes Immer-Wieder-Stehauf-Männchen, mit dem entsprechenden (eben Buck’schen) Humor. (Als Johnny sich mit „Pichler“ vorstellt, wiederholt Buck dieses „Pichler“, als wolle er sagen: Wie kann man nur so heißen, na ja, was soll’s, Pichler halt.) Springer lässt nicht los von Johnny, bietet und biedert sich ihm an, verkauft die Luxuskarosse zum Tiefstpreis und verbringt mit Johnny und zwei leichten Slowakinnen eine heiße Nacht.
Johnny ist dieser Vorbote des Unglücks ein Dorn im Auge. Aber immerhin verschafft ihm der nur schwer als Ostdeutscher erkennbare vermeintliche Schuhverkäufer neue Treter mit der Bemerkung: „Lieber ein Paar neue Schuhe als ein gestohlenes Auto.“ Das klingt fast so dämlich wie „Draußen ist es kälter als nachts.“ Also setzt sich Johnny ab und begibt sich auf die Suche nach Shirley: in die Ukraine. Lwiw und Kiew – Andrea Maria Dusl führt uns in ihrem bemerkenswerten Roadmovie bis zum Schwarzen Meer nach Odessa. Pichler findet Jana (Viktoria Malektorovych), die vermeintliche Zwillingsschwester Shirleys. Jana, kurzgeschnittene Haare, wohnt in einem trist eingerichteten Haus, hütet Schafe, tanzt gut, fährt Taxi fragt Pichler nach Shirley, schläft mit ihm und verschwindet des öfteren heimlich für ein oder zwei Tage. Auch sie hat etwas zu verbergen.
Alle in diesem Film haben etwas zu verbergen. Johnny erzählt aus dem Off ab und an von den Weisheiten seiner Großmutter. Sonst weiß man über diesen Pichler nichts. Hader spielt ihn mit extremer Zurückhaltung, und gerade diese reduzierte Spiel ist es – paradoxerweise –, das einen ahnen lässt, was gerade in ihm vorgeht. Haders Humor ist grandios. Als ihn ukrainische Jugendliche ausnehmen wollen (sie verlangen für einen in Zeitungspapier eingewickelten Backstein Pichlers Geld), lässt er das alles ohne Widerstand über sich ergehen. Zum einen hätte er keine Chance gegen die Bande gehabt, zum anderen sucht er auch gar nicht erst nach einem Ausweg. Zum Schluss bedankt er sich für den Diebstahl. Dieses Danke kommt so überlegen heraus, dass man ahnt: Pichler findet einen anderen Weg erst einmal ohne Geld und: Pichler nimmt die Dinge, wie sie kommen. Später wendet er, als er Geld für die Fahrt nach Odessa braucht, die gleiche Methode an. Hader sitzt vor einem Haus und verpackt einen Ziegelstein in Zeitungspapier, scheint noch zu überlegen. Hader muss nur da sitzen und den Stein anschauen. Das reicht. Man lacht unwillkürlich. Haders Pichler als Straßenräuber, kaum vorstellbar.
Pichler muss Shirley / Jana zweimal suchen. Er entdeckt ihr Geheimnis und er entdeckt sich selbst. Der Loser aus Österreich kann penetrant werden. Er steht da in der Welt wie hineingeworfen, ohne Chance, aber wenn es ihm zu bunt wird, greift er zur Selbsthilfe. Blue Moon – das ist der äußerst seltene Fall eines zweifachen Vollmondes innerhalb eines Monats (demnächst im Juli 2004). Der Film beginnt und endet mit dem Vollmond. Der Blue Moon steht für die Liebe, die Hader findet, eine merkwürdige Liebe, die er da entdeckt, die zu sich selbst über die Liebe zu Jana. Wenn die beiden am Schluss beide ins Schwarze Meer springen, in Odessa, er vom Hafen, sie von der Fähre, dann ist dies besonders doppeldeutig und schön. Die beiden Verlierer aus Ost und West fallen ins Wasser, aber dort begegnen sie sich, vereinen sich.
Pichler trifft auch Springer mehrfach, den Deus ex machina, den ewigen Verlierer, der sich durchschlängelt, ob mit Schuhverkauf, Bettelei oder Kleinkriminalität. Auch ihm entkommen Pichler und Jana, dem, für das er steht. Viktoria Malektorovych spielt diese Shirley / Jana in einer wunderbaren Doppeldeutigkeit, als Gefangene ihrer selbst, als Schein-Westlerin und als Real-Ostlerin, als durch eine tragische Familiengeschichte Geschlagene.
Blue Moon zeigt, wie nah und wie fern – je nach Blickwinkel – Ost und West sich sind. Dusl zeigt den doppelten Betrug, den Betrug an den Menschen und den Selbstbetrug. Dusl verzichtet auf eine künstlich gezimmerte Inszenierung der ukrainischen Realität. Sie lässt das einfach laufen und konzentriert sich auf ihre drei Hauptfiguren. Viktoria Malektorovych, Josef Hader und Detlev Buck passen da hervorragend zusammen. Und das alles tat dem Film unheimlich gut.
© Ulrich Behrens 2002 – veröffentlicht zuerst in: www.ciao.com
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hinzugefügt: November 12th 2002 Autor: Ulrich Behrens Punkte: zugehöriger Link: Internet Movie Database (IMDb) Hits: 6683 Sprache: deu
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