Isle, The
(Seom), Korea 2ooo, Regie: Ki-duk Kim
Wunsch, EnttÀuschung, Gewalt ...
Die Beurteilungen des koreanischen Films Seom reichen von „effekthascherischer Machart“ mit „selbstverliebtem Stilwillen“ (Filmext.com) bis „atemberaubend und einzigartig“ (Schnitt). Andreas Busche fragt, ob es nicht „ein spezifisch asiatisches BildergedĂ€chtnis geben kann“, in dessen Tradition Ki-duk Kims Film gehöre, der in seinen Bildern einen „inhumanen Fatalismus“ verinnerlicht habe, den man zwar gerne öfter sehen, aber nicht allzu oft ertragen könne (1).
Ein abgelegener See, Nebelschwaden liegen ĂŒber den auf Pontons gebauten Hausbooten. In der kleinen Bucht am Rande des Sees lebt die junge Hee-Jin (Suh Jung). Sie vermietet die Hausboote an Angler, versorgt sie mit Lebensmitteln, Ködern und Prostituierten. Hee-Jin selbst verkauft sich nachts an die MĂ€nner aus der Stadt.
Hyun-Shik (Yoosuk Kim) ist auf der Flucht vor der Polizei. Er hat seine Frau und deren Liebhaber ermordet. Er mietet ein Hausboot. Hee-Jin beobachtet Hyun-Shik; er ist anders als die anderen MĂ€nner, in sich gekehrt, zurĂŒckhaltend, geheimnisvoll, eher so wie sie. Sie beobachtet ihn. Als er sich eines Nachts erschieĂen will, taucht Hee-Jin unter das Hausboot und bringt ihm eine tiefe Wunde im Bein bei. Hyun-Shik ist zutiefst erschrocken und lĂ€sst von seinem Vorhaben ab, sieht noch, wie Hee-Jin mit dem Boot zum Steg zurĂŒckfĂ€hrt.
Hyun-Shik versucht, wieder an das Leben zu denken. Er angelt, lĂ€sst die Fische aber wieder frei. Er baut aus Draht kleine Kunstwerke, u.a. eine Schaukel, die er Hee-Jin schenkt. Als Hee-Jin zu ihm auf das Hausboot kommt, sich neben ihn setzt, nĂ€hern sich beide. Doch Hyun-Shik fĂ€llt ĂŒber sie her, ohne ZĂ€rtlichkeit. Hee-Jin flieht, schickt ihm eine Prostituierte, mit der er allerdings nicht schlĂ€ft und gerade dadurch deren Interesse weckt. Beim nĂ€chsten Treffen schlafen beide miteinander, beobachtet von Hee-Jin, in rasender Eifersucht, denn sie hat ihm die Prostituierte nur geschickt, damit er sich sexuell abreagieren konnte, nicht, damit er sich in sie verliebt. Hee-Jin beiĂt ihm in die Zunge, er blutet.
Kurz darauf taucht die Polizei auf. Hyun-Shik bekommt es mit der Angst zu tun. Als jedoch ein anderer Hausbootmieter plötzlich flieht, ergreift er die Gelegenheit, um seinem Leben vor dem Zugriff ein Ende zu setzen: Er schluckt mehrere kleine Angelhaken an der Leine, zieht daran, um sich selbst zu zerfleischen. Hee-Jin versteckt ihn, damit die Polizei ihn nicht findet, unterhalb einer Ăffnung im Hausboot im Wasser. Als die Polizisten abgerĂŒckt sind, zieht sie ihm vorsichtig die Haken heraus. Und wĂ€hrend Hyun-Shik noch schwer verletzt im Hausboot liegt, schlĂ€ft sie mit ihm. Sie pflegt ihn gesund, beide verleben ein paar glĂŒckliche Tage – bis die Prostituierte wieder auftaucht.
Hee-Jin fesselt und knebelt sie, schafft sie in ein Hausboot und bringt sie weit weg an eine abgelegene Stelle des Sees. Beim Versuch sich zu befreien, ertrinkt die Prostituierte ...
Seom wurde hauptsĂ€chlich in Korea scharf kritisiert – vor allem von Feministinnen, die Ki-duk Kims Frauenbild als patriarchalisch einstufen. Ki-duk Kim selbst interessiert sich nach eigenen Worten jedoch abseits von Geschlechterrollen ausschlieĂlich fĂŒr die „psychischen Energien, die starke AbhĂ€ngigkeit, Liebe, Zorn und Eifersucht einschlieĂen und die einzigen KrĂ€fte sind, die unsere Gesellschaft tragen“.
In einem Interview zu seinem letzten Film Bad Guy (2001) erlĂ€utert der Regisseur seine Vorstellungen u.a. wie folgt: „Ich sehe Frauen auf einer höheren Ebene als MĂ€nner. Sie haben etwas zu bieten, das die MĂ€nner brauchen, wofĂŒr sie sogar zu zahlen bereit sind. Die meisten Leute werden anderer Meinung sein, aber so wie ich es sehe, ist das VerhĂ€ltnis zwischen Frauen und MĂ€nnern immer eine Art von Prostitution, selbst wenn kein Geld den Besitzer wechselt. Die Schwierigkeiten zwischen MĂ€nnern und Frauen erzeugen die Energie, die die Welt am Laufen hĂ€lt. Es ist ein universaler Konflikt, aber auf eine Weise spiegelt er auch kulturelle Differenzen. In Europa herrscht seit einiger Zeit StabilitĂ€t, und es gab wenig Probleme zwischen den Geschlechtern. Die europĂ€ischen Filme spiegeln diesen Status quo wieder, sie sind eher zurĂŒckhaltend. Asiatische Filme sind viel impulsiver und gewalttĂ€tiger, weil der Konflikt zwischen MĂ€nnlich und Weiblich noch sehr stark ist“ (2).
Dabei spielt Ki-duk Kim gegen eventuelle Erwartungshaltungen des Publikums, besonders in Seom. Der Film spielt in der Abgeschiedenheit, Ruhe, Verlassenheit, der „freien Natur“, in einer fast romantischen Umgebung eines friedlichen Sees. Die Menschen, die hier zusammenkommen, sind scheinbar vereinzelt, jeder auf seinem Hausboot. Die Stadt, der Dreck, die Hektik scheinen fern und sind doch so nah, eng beieinander. Das impulsive VerhĂ€ltnis von Distanz (zwischen den einzelnen Hausbooten und ihrer Bewohner) und NĂ€he, AbhĂ€ngigkeit der einzelnen Bewohner voneinander und von Hee-Jin, aber auch die Dialektik von Macht und Ohnmacht prallen in dieser Abgeschiedenheit und Wortkargheit, durch die sich der Film auszeichnet, gnadenlos und scheinbar unaufhaltsam aufeinander. Ki-duk Kim lĂ€sst den Figuren keine Wahl. Er erzĂ€hlt, was geschieht, und das, was geschieht, ereignet sich in der unvermeidlichen Logik der Lebensweise seiner Protagonisten.
Hee-Jin und Hyun-Shik sind wesensverwandt. Sie sind „ungleich“ als Frau und Mann, aber durch tiefe Verletzungen und EnttĂ€uschungen im wahrsten Sinn des Wortes (Ă€hnlich) geprĂ€gt. Genau das macht ihre Lebensweise, ihr Lebens-System aus. Hee-Jin ist die WĂ€chterin ĂŒber den See, die Hausboote. Die MĂ€nner, die zum Angeln, zum Saufen und vor allem, um Prostituierte zu empfangen, hierher gekommen sind, sind vor ihr zugleich abhĂ€ngig und bemĂ€chtigen sich ihrer gegen Geld. Etliche dieser MĂ€nner, auch Hyun-Shik, können nicht schwimmen. Hee-Jin kann nicht nur schwimmen, sondern bewegt sich im Wasser wie ein Fisch, kann lange Strecken tauchen. Sie ist die Herrin des Sees. Doch zugleich ist sie ohnmĂ€chtig, den MĂ€nnern ausgeliefert, die auch sie als Prostituierte wollen.
In der SexualitĂ€t liegen fĂŒr Ki-duk Kim StĂ€rke und SchwĂ€che der Frau. Sie ist ihre stĂ€rkste Waffe und zugleich ist SexualitĂ€t der Ursprung ihrer Ausbeutung. An dieser Linie entfalten sich Macht und Ohnmacht. Hyun-Shik ist Mörder und Verlorener auf dem Hausboot. Die HĂ€user auf dem Boot sind gerade so groĂ, dass eine Person darin Platz hat, höchstens noch eine Prostituierte. Die HĂ€user sind RĂŒckzugsgebiet, aber auch GefĂ€ngnis, Sinnbild fĂŒr das Eingesperrtsein. Keiner beschwert sich ĂŒber die Enge. Das Wasser, Quell des Lebens, ist die Grenze dieser Enge, aber kaum einer kann schwimmen. Die MĂ€nner angeln, essen den rohen Fisch, das Leben aus dem Wasser. Das Wasser ist aber auch der Tod, nicht aus sich selbst heraus. Die Prostituierte stirbt darin, ihr ZuhĂ€lter, den Hee-Jin darin versenkt samt seinem Motorrad. Das Wasser steht fĂŒr die Wahrheit, die Unmöglichkeit, Vergangenes zu eliminieren. Das Motorrad taucht wieder auf. Das Geheimnis, das Hee-Jin und Hyun-Shik im See verborgen haben, lĂŒftet das Wasser: Wasser als Ort des Geheimnisses und der EnthĂŒllung. Beide mĂŒssen fliehen.
Zwischen Hee-Jin und Hyun-Shik scheint nur eine Art sadomasochistische Beziehung möglich. Beide versuchen, sich mit Angelhaken zu zerstören, Hyun-Shik schluckt sie, Hee-Jin fĂŒhrt sie in ihr Geschlecht ein und steht blutĂŒberströmt vor Hyun-Shik, der sie gesund pflegt und doch bei ihr bleibt, mit ihr flieht. Zwei der Haken liegen auf dem Boden, zu einem blutverschmierten Herz zusammengefĂŒgt. Beide verletzen sich selbst und den anderen und beide pflegen sich wieder gesund.
Ki-duk Kim „verlĂ€sst“ das Publikum mit zwei seiner typischen Bilder: Hyun-Suk begibt sich in eine Schilfinsel im See; er verschwindet darin. Hee-Jin treibt nackt in einem Kahn, nur knapp unter der WasseroberflĂ€che.
Gewohnte Dichotomien versagen in der Bilderwelt Ki-duk Kims: Opfer und TĂ€ter, Liebe und Hass, Sich-Gehören und Besitzergreifen, Zuneigung und Eifersucht, Gewalt und ZĂ€rtlichkeit, Leidenschaft und Hörigkeit sind untrennbar ineinander verwoben – eine verstörende, oft schwer ertrĂ€gliche Bilderwelt. Die Begriffspaare sind in solchen Filmen analytisch nicht mehr zu rechtfertigen, nicht mehr nutzbar. Die scharfen Kritiken an Ki-duk Kims Filmen (u.a. auch Adress unknown, 2oo1) bewegen sich auĂerhalb dieser Bilderwelt, und das ist ein Problem. Denn Ki-duk Kim erzĂ€hlt nicht von TĂ€tern und Opfern, sondern schildert „gefallene“ Menschen in ihrem Aufeinander-Angewiesensein als ein Problem. Die Geschlechterdifferenz ist bei ihm nur eine unter vielen Differenzen, einem System von Differenzen, unter dem Menschen die Spirale von Wunsch, EnttĂ€uschung und Gewalt durchlaufen.
(1) Zit. n. angelaufen.de
(2) Zit. n. Filmtext.com
© Ulrich Behrens 2002 - veröffentlicht zuerst in: www.ciao.com (unter dem Mitgliedsnamen Posdole)
Weitere Links zum Thema:
Mehr Kritiken zum Film auf |
|
|
|
hinzugefügt: September 14th 2002 Autor: Ulrich Behrens Punkte: zugehöriger Link: Internet Movie Database (IMDb) Hits: 6863 Sprache: deu
|