Prinzessin Mononoke
(Mononoke hime) Japan 1997, Regie: Hayao Miyazaki
Ein Meisterwerk der Animationskunst von Hayao Miyazaki
Roger Ebert, einer der bekanntesten Filmkritiker der USA, sparte nicht mit großen Worten bei der Vorstellung seines Gesprächspartners. Er verglich ihn mit Filmemachern wie Bergman, Fellini, Hitchcock und nannte ihn schlichtweg ein Genie. Sein Name: Hayao Miyazaki. "Der Name ist Ihnen unbekannt, denn auch wenn Sie Filme lieben, hatten Sie noch keine Gelegenheit, Ihre Liebe zu seinen Werken zu entdecken. Er und sein Mitarbeiter Isao Takahata sind die größten Animations-Künstler der Welt." Wahrscheinlich muss man so dick auftragen, wenn man die Aufmerksamkeit des Publikums wecken möchte. Damals, vor zwei Jahren, kam "Prinzessin Mononoke" in die amerikanischen Kinos, Miyazakis Zeichentrick-Opus, das 1997 in Japan alle Kassenrekorde gebrochen und nach 15 Jahren "E.T." vom Thron des in Japan erfolgreichsten Films aller Zeiten gestoßen hatte.
In den USA war der Name Hayao Miyazaki damals weitgehend unbekannt, in Deutschland ist es heute nicht anders. Zeichentrickfilme sind für viele Kinogänger immer noch reine Kindersache, eine meist mit dem "Disney"-Gütesiegel versehene Gelegenheit, mit der ganzen Familie ins Kino zu gehen. Wenn nun "Prinzessin Mononoke" anläuft, wird er es schwer haben gegen die Disney-Produktion "Ein Königreich für ein Lama", die seit einem Monat die Animationsnische besetzt hält. (Text ist vom 19.4.2001, Anm.d.Red.) Dabei gilt es einen Film zu entdecken, der in seinem visuellen Einfallsreichtum, seiner Komplexität und seiner Botschaft alles in den Schatten stellt, was hierzulande bisher an Gezeichnetem auf der Leinwand zu sehen war.
Angesiedelt in einer mythischen Vorzeit, basiert die Geschichte von "Prinzessin Mononoke" auf einem universalen Motiv, der Queste eines jungen Helden, der in die Welt hinauszieht, um das Böse zu besiegen - mit dem entscheidenden Unterschied, dass es in Miyazakis gezeichnetem Universum etwas so Plumpes wie "das Böse" nicht gibt. Sein Weg nach Westen auf den Spuren eines Dämons führt den jungen Ashitaka zu einer Siedlung am Rande eines Waldes, in dem ein mächtiger Gott in Hirschgestalt über die noch unberührte Natur herrscht. Doch Eboshi, die Herrin der in der Siedlung gelegenen Eisenhütte, lässt die Wälder abholzen, um ihre gewaltigen Öfen befeuern zu können. Ein blutiger Krieg steht bevor, zwischen den Tieren des Waldes, die sich um ihren Lebensraum gebracht sehen, und den mit Gewehren ausgerüsteten Menschen, deren Unterhalt von der Eisenproduktion und damit den Ressourcen des Waldes abhängig ist.
Was sich wie eine alte Heldensage anhört, entpuppt sich schnell als eine selbstbewusste ökologische Fabel über den Konflikt zwischen Zivilisation und Natur. Ashitaka ist ein Grenzgänger zwischen beiden Welten, ein unbedingter Verfechter der Rechte der Tiere, gleichzeitig aber ein verständnisvoller Beobachter der komplizierten Verhältnisse in der Siedlung, deren Bewohner sich auch gegen marodierende Samurai zur Wehr setzen müssen. Keineswegs nur von Habgier getrieben, entpuppt sich die Herrin Eboshi als moderne Figur, die in ihrer Fabrik freigekaufte Prostituierte und Bettler beschäftigt. Die Bewohnerinnen der Siedlung gehören zu den selbstbewusstesten Frauenfiguren des Animationskinos, die ihre Arbeit in der Eisenhütte durchaus als emanzipatorisch empfinden. Auf der anderen Seite steht das von Wölfen groß gezogene Mädchen San, die zur wilden Prinzessin Mononoke herangewachsen ist und einen erbitterten Kampf gegen Eboshi führt.
Der Film verbindet auf Atem beraubende Weise episches Erzählkino mit einer äußerst modernen Lust an der Ausdifferenzierung von Motivationen und dem Verzicht auf einfache Lösungen. Selbst die sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen San und Ashitaka, die in einem Disney-Film zur harmonischen Lösung aller Antagonismen gedient hätte, scheitert an den geschilderten Gegensätzen. Die komplexe Story, die eine Unmenge Figuren, Schauplätze und Sagenmotiven miteinander verbindet, wird lebendig durch eine Animationskunst, von der sich auch westliche Zeichner inspirieren lassen. "Es vergeht nicht ein Tag, an dem ich nicht auf Techniken zurückgreife, die ich beim Studium seiner Filme gelernt habe", sagt John Lasseter ("Toy Story") über sein großes Vorbild Hayao Miyazaki.
Ein Grund für die Faszination, die von Miyazakis Schöpfungen ausgeht, ist wohl sein weitgehender Verzicht auf Computeranimationen, die seiner Meinung nach dem Medium die Wärme rauben. Außerdem besteht Miyazaki auf der vollkommenen Kontrolle seiner Werke. 70 Prozent seiner Filme zeichnet er selbst, von den rund 144000 Einzelbildern, aus denen sich "Prinzessin Mononoke" zusammensetzt, stammen angeblich 80000 aus seiner eigenen Feder! Ergebnis des riesigen Aufwands ist ein atemberaubender Detailreichtum, mit dem von Schlangen besessene Keiler, Waldgeister und Tiergötter zu einem unheimlichen Eigenleben erweckt werden. Der im Vergleich zu anderen japanischen Zeichentrickfilmen äußerst sparsame Einsatz von Gewalt macht "Prinzessin Mononoke" insgesamt zu jenem Wunder, nach dem man bei Disney immer noch auf der Suche ist: intelligente Unterhaltung für die ganze Familie.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von The Vortex
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hinzugefügt: July 5th 2002 Autor: Volker Hummel Punkte: zugehöriger Link: Internet Movie Database (IMDb) Hits: 22119 Sprache: deu
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